Montag, 6. Juni 2016

Setze dein Ich in Anführungsstriche, Kunstverein Göttingen


Philipp
Gufler

19.06. – 31.07. 2016

Setz dein Ich in Anführungsstriche
Mit »Setz dein Ich in Anführungsstriche« präsentiert der Kunstverein Göttingen Philipp Guflers erste institutionelle Einzelausstellung. Der Titel bezieht sich auf Hubert Fichtes »Versuch über die Pubertät« (1974), der mit den Worten »Setz doch dein Ich in Anführungsstriche – nenn dich ›Roman‹« seiner literarischen Annäherung auch eine analytische Distanz zur Seite stellte, um die eigene (zum Teil autobiografische) Herangehensweise infrage zu stellen. Mit einer ähnlichen Geste nähert sich Philipp Gufler den Inhalten der Ausstellung an: Guflers Arbeiten beschäftigen sich unter anderem mit zwei künstlerischen Positionen der 70er und 80er Jahre – Rabe Perplexum in München und Ben d’Armagnac in den Niederlanden – deren Performances und künstlerisches Werk heute nur in Bruchstücken rezipiert werden können. Es ist ein persönlicher Zugang, der trotz großer Nähe eine künstlerische Distanz wahrt; eine Überlagerung, ohne dass sich die eigene Künstleridentität in den Sujets auflöst.

Die Annäherung an die beiden Positionen erfolgt bei Gufler nicht nach kunsthistorischen Regeln oder durch Reenactments, stattdessen versucht er eine Art künstlerische Dopplung zu schaffen. Es geht ihm nicht um das (Wieder-)Auf- führen der Performances, sondern darum, mit den Mitteln der eigenen künstlerischen Praxis die Persona hinter der Performance auszuloten. »Becoming-Rabe« heißt eine Videoinstallation, in der Gufler die Rolle der Künstlerin Rabe Perplexum übernimmt. Die resultierende Verschmelzung der Identitäten passiert nicht linear, sondern durch eine poetische Mimesis, die durch Archivaufnahmen und Rabes Performance-Requisiten aufgebaut wird.

Das Motiv der Dopplung oder Überlagerung zieht sich wie ein roter Faden durch den Ausstellungsraum. Durch das Zusammenbringen verschiedener Ebenen, sowohl visueller als auch zeitlicher und identitärer, bricht Gufler mit einem üblichen (wissenschaftlichen) Geschichtsverständnis. Indem er die beiden Künstleridentitäten nicht als abgeschlossene, historische Entitäten betrachtet, kann er diese fortschreiben, um- ändern oder neu anordnen. Philipp Gufler produziert keine identitäre Festschreibung, sondern verwischt die Grenzen zwischen dem künstlerischen Selbst und dem Sujet – eine Geste, die in einer Serie von Quilts wieder aufgegriffen wird und die sich für die BetrachterInnen auch in einer Reihe an Siebdrucken auf Spiegeln entwickelt.

»Schwule Sprache ist uneigentlich, ist indirekte Sprache«, schrieb Fichte über Henry James, sie arbeite mit »Soussentendus, Verfremdungen, Übertreibungen, Ironie, Travestie«. Gufler greift diese Stilmittel in seinen Arbeiten auf. Dabei wird er nicht zu einem »Für-Sprecher«, sondern im Gegenteil zu einem Sprecher, der mit den anderen zusammen spricht. Er formuliert Andeutungen, die einen Raum für das Werk Rabes und D’Armagnacs schaffen, und er verfremdet diesen Raum, um mit der eigenen Sprache die Idee einer Künstleridentität zu destabilisieren.

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»Setz dein Ich in Anführungsstriche« (Put your I in quotation marks) is Philipp Gufler's first institutional solo show. The title references Hubert Fichte's "Essay on puberty" (1974) with the excerpt, "Just put your I in quotation marks – call yourself a ‘novel’", which adds an analytical distance to his otherwise literary advancements in order to question his own (partly autobiographical) approach. Philipp Gufler appropriates a similar gesture when handling the exhibition content: The work deals with two artistic positions from the 1970's and 80's – Rabe Perplexum in Munich and Ben d'Armagnac in Holland, whose performances and artistic oeuvre can nowadays only be perceived fragmentarily. It is a personal technique, which through its immediacy still manages to preserve an artistic distance; a layering, without losing the artistic identity of its subjects.

The method Gufler applies does not follow art historical norms nor make use of reenactments, instead he attempts to create a kind of artistic doubling. His interest lies not in the repetition of a performance, rather he uses his own artistic praxis to sound out the persona behind the performance. "Becoming-Rabe" is a video installation in which Gufler takes on the role of artist Rabe Perplexum, wherein the resulting identity-merge does not occur on a linear basis, but through poetic mimesis using archival footage and Rabe's performance props.

The motive of doubling and layering is a common denominator throughout Gufler's exhibition. The merging of layers, visual as well as temporal and identitarian, manages to break with the common (scientific) understanding of history. Gufler's disregard of artistic identities as finalized, historical entities allows him the freedom to update, change and realign these. His work is not a production of identitarian fixation, but instead blurs the borders between the artist's self and the subject – a gesture which is also reflected in his series of quilts and elaborated on for the viewer in a sequence of silkscreened mirrors. The resulting reflections within the space add an additional layer to the exhibition's conceptual discourse.

Fichte wrote of Henry James that, "Gay language is inauthentic, it is a form of indirect speech", consisting of "innuendoes, alienation, exaggerations, irony, travesty". Gufler appropriates these stylistic devices, speaking with them, not for them. Gufler's individual language of intimations creates a space for the work of Rabe and D'Armagnac, whilst at the same time defamiliarizing it, in order to ultimately destabilize any form of artistic identity.


Kuratiert von Anja Lückenkemper

KUNSTVEREIN GÖTTINGEN

im Künstlerhaus

Gotmarstraße 1
37073 Göttingen
ÖFFNUNGSZEITEN
Di-Fr 14-18 Uhr, Sa/So 11-17 Uhr
VERNISSAGE
So, 19. Juni 2016, 11.30 Uhr

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